November 2019: Äthiopien: Reisebericht Fam. Schlienger

Eine etwas andere Reise nach Addis Abeba und Lalibela

Unsere dritte Reise durch Äthiopien sollte etwas anders werden. Mit unserer Tochter Noëmi hatten wir vor ein paar Jahren den Norden mit seiner einzigartigen Berglandschaft und seinen historischen Sehenswürdigkeiten kennengelernt, bei unserer zweiten Reise das Rift-Valley im Süden mit seinen Seen und Naturreservaten. Dieses Mal wollten wir einen anderen Schwerpunkt setzen. Nicht wie Touristen von Besichtigung zu Besichtigung hüpfen, sondern länger an einem Ort bleiben, mit den Menschen ins Gespräch kommen und mehr über sie und ihr Leben erfahren. Das war unser Ziel.

Wenige Wochen vor unserer Abreise lernen wir Peter Bachmann aus Winterthur kennen – für unser Anliegen genau die richtige Person. Seit über zwanzig Jahren betreut und unterstützt seine Stiftung Hilfs- und Förderprojekte vor allem in Äthiopien. Er und seine Mitarbeiter vor Ort sind sofort bereit, uns zu Menschen und an Orte zu führen, wo die Peter Bachmann Foundation (PBF) bedürftigen, aber auch jungen bildungshungrigen Menschen eine neue Lebensperspektive verschafft.

Speisung der Armen

Inmitten von glasverschalten Bürotürmen, die mittlerweile in Addis Abeba überall in die Höhe schiessen, steht ein älteres Haus wie aus einer anderen Zeit. Terfa Dinka, ein freundlicher Mann mit dunkler Brille und einem etwas zu grossen Anzug, hat sein Leben der Speisung der Armen gewidmet. Zusammen mit seinem Team führt er eine Verpflegungsstätte für obdachlose ältere Menschen, die niemanden mehr haben: das Institut Voluntas Dei (VDI). Ein halbes Dutzend Frauen und etwas über dreissig Männer warten im Innenhof des ehemaligen Kirchgemeindehauses, bis die Glocke läutet, und sie in den zwei Speisesälen ihr tägliches Injera bekommen.

Eine Rolle Fladenbrot und einen grossen Löffel dünne Kichererbsensauce. Wir sind beeindruckt von der ruhigen, fast andächtigen Stimmung, die hier herrscht; und weil es uns peinlich wäre, den Menschen beim Essen einfach zuzuschauen, sind wir froh, dass wir helfen dürfen, ihnen die Mahlzeit zu bringen. Für einige gibt es auch Betten, in denen sie die Nacht verbringen können, und für alle eine Infrastruktur für Körperpflege und die Reinigung der Kleider. Sicher gibt es in Addis Tausende von Menschen, die auf eine solche Unterstützung angewiesen sind. Terfa Dinka wäre froh, wenn er nicht jeden Tag Menschen abweisen müsste. Die monatlich 2000 Franken, mit denen die PBF-Stiftung das VDI alimentieren kann, reichen aber nicht für mehr.

Eine Schule für die Kleinsten

Am Rand der riesigen Stadt befindet sich das Day Care, eine Tagesschule für Kinder zwischen vier und sechs Jahren, bei uns heisst das Kindergarten, doch hier wird nicht gespielt, sondern gelesen, geschrieben, gelernt, auch bereits Englische Vokabeln – und natürlich auch gesungen.

Die Eltern dieser Kinder sind sehr arm und könnten sich bestenfalls eine staatliche Schule leisten. Die sind aber weit entfernt, und von einer Lehrperson werden dort oft bis zu hundert Schüler und Schülerinnen unterrichtet. Alimentiert und betreut wird das Day care seit über fünfzehn Jahren von der Stiftung Pro Kind. Mit sichtlichem Stolz führt uns der Schulleiter Kinfi Tareke durch die drei Klassenzimmer, in denen je zwei Lehrerinnen etwa fünfunddreissig Kinder unterrichten. Fast luxuriöse Verhältnisse im Vergleich zu manchen staatlichen Schulen, wo bis zu achtzig Kinder gemeinsam unterrichtet werden, doch von Luxus ist das Day Care weit entfernt.

Es fehlt an Mobiliar, an Geld für die Verpflegung, an einer professionellen Einrichtung des Sanitätsraums und und und… Befragt, was seiner Meinung nach am dringendsten nötig wäre, wünscht sich Kinfi Tareke einen grösseren Essraum, ein zusätzliches Gebäude, auch für weitere Schüler, die jetzt abgewiesen werden müssen. Kosten würde das um die 20‘000 Dollar. Nach Schulschluss versammeln sich die über hundert Kinder im Innenhof, dankbar für die bunten Ballone und die Bananen, die wir mitgebracht haben. Ein Drittel Banane bekommt jeder, zu mehr reicht es nicht. Um dem Day Care wirklich zu helfen, braucht es richtige Spenden. Wir nehmen uns vor, in der Schweiz dafür zu Werbung zu machen, genauso wie für das VDI von Terfa Dinka.

Startups und ein Dichter in Lalibela

Nach drei Tagen Addis fliegen wir nach Lalibela, dem weltberühmten Wallfahrtsort mit seinen Felsenkirchen. Wer hier mit den Einwohnern ins Gespräch kommt und den Namen Peter Bachmann erwähnt, blickt sofort in strahlende Gesichter. Man will wissen, wie es ihm geht, und erzählt von seinen guten Taten, egal ob man selber davon profitiert hat oder nicht. Die Peter Bachmann Stiftung betreibt und betreut in Lalibela über ein Dutzend Förder- und Unterstützungsprojekte. Der Mann vor Ort heisst Mesay Mekuanent. Zusammen mit seinen Mitarbeitern sorgt er dafür, dass die gespendeten Gelder nachhaltig investiert werden, also nur in Projekte, die professionell geführt werden und nicht auf halber Strecke wieder aufgegeben werden.

Eine clevere Idee stand am Anfang des Gemüsegartens des Agronomen Zelalem. Auf einem steil abfallenden Gelände steht eine öffentliche Toilette, die kaum benutzt und darum geschlossen wurde. Der Hang verwahrloste und verkam zur Abfallhalde.

Heute ist vom Abfall nur noch an einem schmalen Streifen etwas zu sehen. Das Team um Zelalem hat das Landstück in einen Gemüsegarten verwandelt! Sandsäcke terrassieren den steilen Hang, später werden Bäumchen, deren Schösslinge bereits sichtbar sind, diesen Job übernehmen. Und spätestens in einem halben Jahr, versichert uns Zelalem, kann er erstes Gemüse ernten.

Am Rand des grossen Wochenmarktes entdecken wir ein unscheinbares Gebäude, das aus einem einzigen Raum besteht. Hier arbeitet Fikiru Alelebign daran, dass sein Land den Anschluss ans IT-Zeitalter nicht verpasst. An etwa zehn Tischen sitzen je zwei junge Männer vor einem Bildschirm und erlernen mit Hilfe von Handbüchern eine Programmiersprache. Die Stimmung ist konzentriert, die Studenten lassen sich von den Besuchern kaum ablenken. Fikiru gehört zu den Lehrern aus Leidenschaft, voll Stolz erklärt er uns, wie sein IT-Workshop funktioniert, und für den mitgebrachten Laptop bedankt er sich mindestens dreimal per E-Mail.

Wir wollen weitere Orte in und um Lalibela besuchen, wo das Wirken der Peter Bachmann Stiftung sichtbar wird. Es reicht nur für knapp die Hälfte. Sehr berühmt in Lalibela ist das Ammanuel Village, bestehend aus einer Gruppe von ca. 30 grün bemalten Wohnhäusern, die die PBF vor ein paar Jahren gebaut hat.

Fast charmant wirkt die Auto- oder besser Tuktuk-Waschanlage, die von jungen Männern betrieben wird, die bis vor kurzem als Strassenkinder ein aussichtloses Dasein geführt haben.

Etwas ausserhalb besichtigen wir eine Bauteilefabrik. Das Gebäude besteht aus einem grossen Dach ohne Wände; die Anlage aus zwei Maschinen, mit denen Zementbausteine hergestellt werden.

In der Nähe einer Schule, unweit des Flughafens, hat die PBF-Stiftung eine Wasserquelle gefasst und so Trinkwasser für mehr als 1500 Menschen sichergestellt.

Und kurz bevor wir uns aus Lalibela wieder verabschieden, lernen wir noch Solomon Molla kennen, einen Autor, der seinen ersten Gedichtband veröffentlichen will. Er trägt uns einige Proben vor, auf Amharisch, wir verstehen kein Wort, aber der Klang der Sprache und das Feuer seines Vortrags haben etwas Magisches. Unser Amharisch-Lehrer in Zürich hat inzwischen eines der Gedichte übersetzt; das Ergebnis bestätigt unsere Vermutung: wir haben einen Dichter getroffen! Noch am gleichen Tag schickt Peter Bachmann dem jungen Lyriker das fehlende Geld, damit er seine Gedichte an Weihnachten als Buch verkaufen und verschenken kann – so wie er es den einheimischen Gönnern versprochen hat.

Niklaus Schlienger, mit Kerstin Müller und Noëmi

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