Reisebericht Meinrad & Hanu: Ethiopia 19.01-06.02.2016
Eigener Antrieb und Bedenken von Bekannten
Ich, Meinrad, wollte schon lange nach Äthiopien reisen und die Felsenkirchen von Lalibela sehen. Mit Hanu teile ich auch eine grosse Neugierde auf Menschen und Kulturen, die ganz anders als wir konditioniert sind. Peter Bachmann kenne ich schon seit Jahrzehnten, aber erst vor Kurzem sind wir wieder intensiver in Kontakt gekommen.
So wurde die Reise auch zu einem intensiven Kontakt mit Menschen und Projekten der Peter Bachmann Foundation (PBF). Da wir nur knapp drei Wochen Zeit hatten, beschränkten wir uns auf Addis Abeba und den Norden. Freunde und Bekannte rieten uns vor der riskanten Reise ab. Hunger, kriegerische Auseinandersetzungen in den Grenzregionen und vor allem das Unbekannte liess sie Schreckliches befürchten. Dank unserer langjährigen Reiseerfahrung in Indien fühlten wir uns trotz Bedenken von Familie und Bekannten parat, in diese unbekannte Welt einzutauchen.
Religion
Ich, Meinrad, reiste ein paar Tage früher als Hanu ab, um in Gondar Timkat, das Fest der Taufe Jesu mitzuerleben. Das Fest ist auch aus historischer Sicht bedeutend. Im 17. Jahrhundert machte der kluge König Fasilidas den Fehler seines unklugen Vaters rückgängig, den Katholizismus mit Zwangstaufen, Vertreibungen und Morden zur
Staatsreligion zu machen. Dazu baute er ein Wasserschloss, um die Rücktaufen möglich zu machen. Das jährliche Fest im und am Wasserbecken und in der ganzen Stadt hat mich sehr fasziniert. Orientalische Gesänge und Rituale, Trommelmusik und Tanz und das vor Freude explodierende Eintauchen in das Wasser lassen Europäer erstaunen vor dieser hingebungsvollen und lebensfreudigen Religiosität. In einigen Liturgien am morgen früh, vor allem in Lalibela, durften wir eine ganz anders geartete und intakte Religiosität erleben, in die wir selber auch eintauchten.
Auch in den zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Kirchen ist das religiöse Leben voll intakt. Bei den Gottesdiensten die Worte nicht zu verstehen, macht vieles auch einfacher. Denn die Rolle der äthiopisch-orthodoxen Kirche in der Gesellschaft erschien uns auch recht problematisch, weil sie aus europäischer Sicht die Entwicklung der Wirtschaft und auch von freiheitlicheren moralischen Standards mitbehindert.
So war denn auch der Besuch in Awra Amba und die Begegnung mit Zumra Nuru, dem Gründer dieser Dorfgemeinschaft ohne Religion sehr eindrücklich für uns. Diese Gemeinschaft lebt ohne sichtbare Religiosität nach den Grundsätzen von Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und zwischen Kindern und Erwachsenen. Bildung spielt eine zentrale Rolle und das Engagement des Einzelnen für die Community. Die friedliche Stimmung im Dorf hat uns sehr beeindruckt.
Wiege der Kultur
Uns war vor der Reise nicht bewusst, wie alt die Kultur Äthiopiens ist. Im Museum in Addis kann man einige Knochenfunde besichtigen, unter anderen die Lucy genannte, 3,2 Mio Jahre alte Ur-Ahnin, die deutlich macht, dass Äthiopien die Wiege der Menschheit ist. In Axum, dem geistlichen Zentrum im Norden von Äthiopien, besichtigten wir die Ausgrabungsstätten der antiken Kultur mit ihren bekannten Stelen. Es war ein Grossreich, das bis in den
Jemen hineinreichte und Handel treib bis nach China. Unser Guide erklärte uns, dass vermutlich erst 5% des axumitischen Reiches erforscht ist. Dazu wurde an der Uni eine archeologische Fäkultät gegründet, um diese Ausgrabungen adäquat durchführen zu können.
Das Reich verlor bei der Ausbreitung des Islam seine Bedeutung, weil es den Zugang zum Meer verlor. Von grosser Bedeutung für Äthiopien ist aber bis heute eine ihrer Legenden. Sie besagt, dass der erste König Menelek der Sohn des jüdischen Königs Salomon und der Königin von Saba sei. Dieser habe auch die Bundeslade nach
Äthiopien gebracht, wo sie noch immer hoch verehrt wird, aber nur durch einen Wächter überhaupt gesehen werden darf. Auf diese Tradition geht auch die eindrückliche Vision von König Lalibela im 12./13. Jahrhundert, mit den 11 Felsenkirchen ein neues Jerusalem zu bauen. In neuerer Zeit waren vor allem die Italiener in der Region präsent. Obwohl noch einiges in Sprache, Architektur und beim Essen an die Italiener erinnert, wurde Abessinien, wie Äthiopien früher genannt wurde, als einziges afrikanisches Land nie zur Kolonie.
Landschaft / Tourismus
Das abessinische Hochland ist geprägt von weiten Hochebenen, die zwischen 2500 und 3500 M.ü.M liegen. Diese werden durch tiefe Schluchten unterbrochen und von einzelnen Erhebungen überragt. Ein einzigartiges Naturschauspiel! Grosse Strecken liegen in einer topfebenen Landschaft, bis man unerwartet an den Rand der
Hochebene ankommt und staunend über die gigantischen Gebirgskanten hinweg in das weite Land hinein sehen kann. Weit unten sehen wir Dörfer, Strassen und Felder. Diese Klippen sind deshalb beliebte Standorte für Hotels und Aussichtsrestaurants.
Über holprige, staubige Strassen, windet sich der Weg dann plötzlich in engen Kurven den Abhang hinunter. Diese eindrückliche Natur und die simplen Pisten machen das Reisen extrem spannend aber auch ermüdend, weil vielfach die doppelte bis dreifache Zeit für einen Tagesabschnitt benötigt wird. Wenn dann noch die Radaufhängung in die Brüche geht, wird die Landschaft noch weiter und bedrohlich schön. Mit einem erfahrenen Driver wird die Aufhängung im nächsten Dorf behelfsmässig repariert und weiter geht’s.
Holperpisten, fehlende Infrastrukturen und Musse
Generell fällt auf, dass Infrastrukturen in unserem Sinne weitgehend fehlen. Auf unserer befahrenen Route gibt es keine durchgängig asphaltierte Strasse. Ganze Dörfer gehen bei jeder Durchfahrt eines Lasters in gigantischen Staubwolken unter. Aktuell sind chinesische Ingenieure mit äthiopischen Bauarbeitern daran, die wichtigsten
Verbindungen des Landes zu erstellen. Vieles ist immer noch auf die traditionelle Agrarwirtschaft ausgelegt, bei der zu Fuss oder mit Esel lange Reisen notwendig sind um zum Beispiel die Produkte auf den lokalen Märkten anzubieten und die eigenen Einkäufe nach Hause zu schaffen. Wir begegnen immer wieder einzelnen Menschen oder kleinen Kolonnen von Jung und Alt, die sich am Rand der Pisten durch das Land bewegen. Die Leute scheinen in der Musse, mit der sie mit den Weggefährten plaudern einiges an Lebensqualität zu haben, die wir schon lange dem Fortschritt geopfert haben.
PBF – Menschen und Projekte
Business Modelle für Randständige
Der PBF-Ansatz verknüpft Hilfe mit Entrepreneurship. Geholfen wird einerseits mit finanziellen Ressourcen, aber auch mit technischem und unternehmerischem Know-How. Damit das funktionieren kann, ist es wichtig, dass die PBF Mitarbeitenden lokal verankert sind und die realen Bedürfnisse der Gesellschaft kennen und aus einer fundierten Analyse heraus Business Modelle für Randständige entwickeln können. Darüber hinaus benötigen die
Projekte auch technisches Know How, dass entweder PBF oder aber die Unterstützten selber aufbringen. Im zweiten Fall handelt es sich meistens um ehemalige, von PBF unterstütze Studenten/-innen, die sich auf dem Gebiet Gesundheit, Ingenieurswissenschaften oder Agronomie ausbilden liessen und dieses Know How nun operativ umsetzen können.
Begegnungen mit Studierenden
Bei allen Begegnungen mit Studierenden zeigte sich die grosse Dankbarkeit gegenüber von PBF und speziell gegenüber von „Dr. Peter“. Die Dankbarkeit führt zu einem grossen Commitment gegenüber der Stiftung und ihren Projekten. Bei den Leuten, die wir getroffen haben, gibt es durchgehend eine Grundhaltung weiter zu geben, was man selber erhalten hat: ein besseres Leben für die eigenen Familien, Engagement für PBF-Projekte, Engagement
für einen bessere Zukunft von Äthiopien. Die Studierenden kommen teilweise aus für uns unvorstellbarerer Armut. Ohne die Unterstützung on PBF hätten sie nicht studieren können. Entsprechend gross ist auch die Angst, in Armut zurückkehren zu müssen, sollte die Unterstützung von PBF bald ausbleiben.
Car Wash Lalibela
Ein geradezu prototypisches Projekt für den PBF-Ansatz scheint uns das Car Wash Projekt. Lalibela ist ein wichtiger touristischer Ort in Äthiopien. Neben den vielen Hotels, die aktuell gebaut werden, ist der zunehmende Verkehr ein wichtiges Segment für die künftige Beschäftigung von Einheimischen. Neben der einzigen Garage
Nyala Motors, die auch von PBF unterstützt wurde, gibt es keinen einzigen Ort, wo Fahrzeuge professionell gereinigt werden können. Mesay, der die Projekte in Lalibela koordiniert, hat für 7 Jugendliche eine Anlage konzipiert, die eine umweltverträgliche Reinigung von Fahrzeugen ohne komplizierte technische Infrastruktur möglich macht. Aktuell ist er dabei die Anlage zusammen mit den 7 Jugendlichen aufzubauen. Sobald die Anlage steht, werden diese vollumfänglich dafür verantwortlich sein, diese Anlage so zu betreiben, dass diese die Existenz der Beteiligten sichern kann. Hier entsteht eine, auf die lokalen Bedürfnisse und Möglichkeiten abgestimmte, neue Infrastruktur, die Jugendliche aus der Arbeitslosigkeit holt und ihnen eine Zukunft bietet, an der sie massgeblich selber beteiligt sind.
Zwiebelfeldbewässerung
Ein eindrückliches Beispiel von effektiver Anschubfinanzierung durch PBF ist ein Zwiebelfeld. Zwiebeln gehören zu den wichtigsten Grundnahrungsmitteln der Äthiopischen Küche. Ihr Erwerb ist aber teuer, weil sie oft von weit her nach Lalibela gebracht werden müssen. Mit der traditionellen Anbaumethode konnte man einmal jährlich Zwiebeln ernten, falls es denn genügend Regen gab. Ein mit Unterstützung von PBF ausgebildeter Agronom hat nun ausserhalb von Lalibela ein Zwiebelfeld eingerichtet, auf dem man dank Bewässerungsmethoden drei Mal jährlich ernten kann. Schon beginnen die benachbarten Bauern die Anbautechnik zu imitieren. Ein weiterer Erfolg!
Emanuel Clinic
In Gashena werden wir von Ashenafi Mamo in der Emanuel Clinic herzlich empfangen. Es ist beeindruckend, wie hier ein von PBF ausgebildeter junger Mediziner sich in dieser abgelegenen Region für eine von PBF betriebene Klinik commitet. Die Klinik hat eben neue Räumlichkeiten für Augenkrankheiten fertig gestellt. Die gesundheitlichen Probleme der Leute haben viel mit den hygienischen Bedingungen und fehlendem sauberem Trinkwasser
zu tun. Ashenafi bemüht sich also mit seinem Team, die Trinkwasserversorgung zu verbessern. Auch der Boden der Klinik hält hygienischen Standards gar nicht stand. Wir diskutieren verschiedene Möglichkeiten von Bodenbelägen. Inzwischen wurde der Boden mit Keramikplatten belegt.
Unterstützung VDI
Der Besuch des Altersheims von VDI in Addis hat uns sehr beeindruckt. Die Spiritualität dieser katholischen Organisation mag uns fremd erscheinen, doch eindrücklich stellen sie das konkrete Handeln ins Zentrum. An der Wand hängt ein Spruch: „dignity shows in humand actions – not in words“. Sie haben sich gefragt, wo sie sich
engagieren könnten und gemerkt, dass es für ältere Menschen, die ihr Zuhause verlieren, kaum Angebote gibt. In ihrem Haus können ältere Menschen einen Ort für handwerkliche Arbeit (vor allem Spinn- und Webearbeiten für Frauen) und für Gespräche finden und sie erhalten dank PBF warme Mahlzeiten. Einige können auch in den
äusserst einfach gehaltenen Betträumen schlafen.
Projektleitungen vor Ort
Der ganze Erfolg von PBF beruht zu grossen Teilen auf den Projektleitungen vor Ort. Mesay und Sisay machen dies für den Norden und Abel für den Süden. Alle Drei zeichnet eine liebenswürdige Hartnäckigkeit aus, mit der Sie neue vielversprechende Projekte eruieren, den Forderungen der lokalen Bevölkerung für den persönlichen Benefit standhalten und gleichzeitig gewähren, dass angepackte Projekte erfolgreich realisiert werden können. Eine Mischung aus Know How im Engineering und Social Work sowie viel Geduld und Standhaftigkeit ist gefragt.
Fazit und Ausblick
Es gibt Reisen, die wunderschön und entspannt sind, aber keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dann gibt es jene Reisen, bei denen man sofort realisiert, dass das Leben vor der Reise nicht mehr dasselbe ist wie das Leben nach der Reise. Zu viele Eindrücke, offene Fragen oder menschliche Begegnungen haben den Reisenden im
Innersten berührt. Unsere Äthiopien Reise gehört zu dieser zweiten Kategorie, zu der auch unsere Reisen nach Indien zählen. Das Spannende an Reisen der zweiten Kategorie ist, dass diese die eigene Existenz in der Wohlfühloase hinterfragen, in Kontext stellen und es nicht mehr zulassen, dass Alltagsfragen losgelöst von globalen Zusammenhängen angegangen werden können. Im Gegensatz zu Indien, das sich einem nicht immer wirklich erschliesst, ist Äthiopien näher als man denkt. Einerseits ist dieses Land die Wiege der Menschheit und anderseits verbindet Äthiopien mit seiner christlich geprägten Kultur viele der Grundwerte, die wir in der Zwischenzeit als Zentraleuropäische Errungenschaft beanspruchen. Neben den faszinierenden Landschaften und den unglaublich sanften Menschen, die wir in Äthiopien treffen durften trafen wir auch eine grosse Erwartungshaltung. Als PBF-Ambassadors angekündigt, verknüpften viel Menschen unser Erscheinen mit einem möglichen persönlichen Benefit. Im Wissen, dass ein gutsituierter Europäer ohne grosse persönliche Einbussen ein Studium in Äthiopien, ein einfaches Haus nach PBF-Standards oder eine individuelles Projekt massgeblich unterstützen und finanzieren kann. Die Beziehungen geraten daher sehr schnell in eine Abhängigkeit. Dies ist einerseits verstörend und beklemmend, zeigt aber anderseits auch unsere Verantwortung in unserem persönlichen Alltag auf, in dem diese Abhängigkeit auch besteht, aber weder sichtbar noch personalisiert ist.
Meinrad & Hanu | 160516