Reisebericht Äthiopien 2010 von Hans-Peter Hutter
Im März dieses Jahres hatte ich die Möglichkeit, mit Peter Bachmann die Projekte der PBF (Peter Bachmann Foundation) in Äthopien zu besuchen. Nicht nur war Äthiopien für mich bis dahin ein weisser Fleck auf der Weltkarte gewesen, es war auch das erste Mal überhaupt, dass ich den afrikanischen Kontinent betrat. So war ich ziemlich gespannt auf das, was auf mich zukommen würde, als wir mit der Ethiopian Airlines von London her kommend, kurz vor halb Acht überraschend pünktlich auf der Landepiste des Flughafens Bolo am Rande von Addis Abbeba aufsetzten.
Es ist ein sonniger Morgen an diesem 23. Februar, als wir das Flugzeug verlassen, und eine kühle Brise weht über die weite, trockene Hochebene auf mehr als 2000 Metern über Meer. Im modernen Flughafengebäude, das den Vergleich mit europäischen Flughäfen nicht zu scheuen braucht, müssen Peter und ich zuerst ein Visum beantragen, um einreisen zu können. Das einmonatige Touristenvisum wird uns nach kurzer Befragung ohne Weiteres ausgestellt, obwohl die Lage in Äthiopien wegen der im Sommer bevorstehenden Neuwahlen ziemlich angespannt ist. Auch unser Gepäck bringen wir anstandslos durch die Sicherheitskontrolle am Ausgang des Flughafens, und dies trotz Laptops und vieler elektronischer Geräte, die wir mitgenommen haben. Peters grössere Sorge gilt aber dem Pack Hepatitis-A-Spritzen, welche er für einen Kapuziner der Pfarrei Holy Saviour Catholic Church aus der Schweiz bei sich hat und die ständig kühl gehalten werden müssen. Peter hat sich vorsorglich eine Arztbescheinigung ausstellen lassen, falls es Probleme beim Zoll geben sollte. Der Zöllner jedoch nimmt keine Notiz von den Spritzen.
Abbildung 1: Yared empfängt uns am Flughafen Bolo
In der Ankunftshalle treffen wir kurz darauf auf Yared (Abbildung 1), der seit einigen Monaten für die PBF arbeitet und uns bereits erwartet. Nach einer herzlichen Begrüssung und Umarmung, wie es in Äthiopien üblich ist, ruft Yared den Taxifahrer Hailu an, der auch von der PBF unterstützt wird. Dieser kommt nach geraumer Zeit mit seinem blauen Taxi, einem Lada älterer Bauart, angetuckert. Wir laden unsere Koffer in den Gepäckraum so gut es geht und fahren dann zu fünft zur Holy Saviour Church. Die Fahrt dauert ca. eine halbe Stunde durch die sehr belebten Strassen von Addis Abeba, vorbei an sogenannten Strassenfrauen, die mit Besen inmitten des Verkehrs die Strasse fegen und alles noch irgendwie Verwendbare einsammeln. Sie tragen einen Strohhut und ihr Gesicht ist eingehüllt in ein schützendes Tuch. Dann geht es weiter durch die Fluchten von Autos, Strassenläden und emsigen Menschenmassen ins Stadtzentrum.
Ursprünglich wollten Peter und ich die erste Woche bei den Kapuzinern logieren. Die haben aber gerade einen Kongress und deshalb sind alle Zimmer belegt. So fahren wir, nachdem Peter die Spritzen im Holy Saviour abgegeben hat, weiter in ein kleines Hotel etwas ausserhalb des Stadtzentrums, wo Peter schon vor einigen Jahren einmal eingekehrt ist. Das Addis Comfort ist ein auch für äthiopische Stadtverhältnisse eher einfaches, etwas renovationsbedürftiges Hotel an einer viel befahrenen, Abgas erfüllten Ausfallstrasse der Stadt. Vor der Bar sitzen junge Schuhputzer, die auf Kundschaft warten und uns neugierig begrüssen (Abbildung 2). Neben der Bar, einem kleinen Hinterhof und einem traditionell äthiopisch eingerichtetem Restaurant (Abbildung 3) besitzt das Hotel ein gutes Dutzend Zimmer im ersten Stock, zum Teil mit WC, fliessend Wasser und eigener Dusche. Wasser hat es aber normalerweise nur morgens und abends, weil tagsüber häufig der Strom über mehrere Stunden ausfällt. Die Gastgeber jedoch sind alle sehr freundlich und hilfsbereit, nehmen sie doch nach mehreren wenig erfolgreichen Reparaturversuchen an meinem WC gleich das ganze WC mit und ersetzen es durch ein anderes, etwas weniger kaputtes. Auch die Putzequipe ist sehr fleissig und nimmt den Steinboden jeden Tag nass auf und wechselt auch die Bettlaken. Von WC-Papier scheint hier noch nie jemand etwas gehört zu haben. Nach einer längeren Tour durch die Blechhütten-Läden auf der anderen Strassenseite kann ich aber dieses Luxusgut auftreiben. Das Restaurant im Hinterhof des Hotels ist am Abend jeweils gut besucht von Einheimischen aus der näheren Umgebung. Wir scheinen die einzigen Weissen zu sein in dieser Vorstadtgegend.
Abbildung 2: Schuhputzer vor dem Hotel Addis Comfort
Abbildung 3: Das traditionell eingerichetete Restaurant des Hotels ist beliebter Treffpunkt der Einheimischen
Peter und ich verbringen die erste Woche mehr oder weniger im Hotel Addis Comfort. Peter telefoniert fast ununterbrochen mit seinem Mobiltelefon, um Termine mit seinen Mitarbeitern, vor allem mit Yared und Ayene, und mit den von der PBF unterstützten Studenten abzumachen, oder anderen Leuten, die Peter kennt oder die mit Peter über neue Projekte sprechen wollen.
Abbildung 4: Peter telefoniert ständig und vereinbart Treffen mit den von PBF unterstützten Studenten…
Diese treffen in regelmässigen Abständen im Hotel Addis Comfort ein, wobei Peter ihnen jeweils den Weg zum Hotel genau erklären muss, da niemand dieses Hotel zu kennen scheint. Peter diskutiert mit ihnen im Hinterhof über ihr Studium, ihre Familien oder über ihre Projekte, die sie Peter vorstellen wollen. Peter hört aufmerksam zu, stellt zwischendurch eine Frage, hält ihre Hand oder legt seinen Arm auf ihre Schulter, um ihnen das zu geben, was die meisten von ihnen verloren haben oder noch nie kannten, Aufmerksamkeit, Geborgenheit und Fürsorge. Die Studenten sind sehr freundlich und herzlich, erzählen leise und etwas scheu von ihren Schicksalen, ihrer Not, aber auch von ihrer neuen Hoffnung, die Peter ihnen gibt.
Abbildung 5: … um ihre Anliegen und Sorgen persönlich mit ihnen zu besprechen.
Nach einer kurzen Rücksprache mit seinen Mitarbeitern Ayene und Yared, die die Situation der Studenten vor Ort bestens kennen und häufig auch Vorabklärungen über die Studenten treffen, die neu in das Unterstützungsprogramm aufgenommen werden sollen, entscheidet Peter jeweils über das weitere Vorgehen und leitet gleich die ersten Schritte ein. Das Schulsystem in Äthiopien wurde in den letzten Jahren reformiert, so dass heute im Prinzip jeder und jede gratis die öffentlichen Grundschulen besuchen kann. Ein Bachelor- oder gar Masterstudium ist für entsprechend Begabte auch möglich, die Hälfte der Studiengebühren müssen jedoch nach Studienabschluss zurück bezahlt werden. In der Praxis scheitert der Schulbesuch bei den Ärmsten der Armen häufig daran, dass sie kein Geld für das nötige Schulmaterial aufbringen können oder schlicht keine Zeit haben, weil sie irgendwo in der Stadt oder auf dem Feld arbeiten müssen, um Wasser und Essen für sich und ihre Familien besorgen zu können. Diese Familien leben in kleinen Blechhütten zu viert, fünft oder auch zu zehnt, eine Mutter mit ihren Kindern oft auch Kindeskindern, häufig ohne Mann, der gestorben oder sonst nicht mehr auffindbar ist, manchmal gar ohne irgendeinen Elternteil.
Abbildung 6: Ayene (rechts) diskutiert mit Yared (links)
Peter unterstützt diese Studierenden und ihre Familien mit Geld für das Lebensnotwendigste. Damit können diese Jugendlichen studieren und trotzdem ihre Familien durchbringen. Ein Studium, mindestens einen Bachelorabschluss, ist bereits heute in Äthiopien unabdingbar, um einen Job in einer Firma oder einem Staatsbetrieb zu erhalten. Mit dieser Unterstützung besteht die Hoffnung, dass diese Studierenden später eine Arbeit finden werden und ihre Lebensumstände und die ihrer Familien sich damit langfristig verbessern.
Meine Aufgabe in dieser Woche ist es, die Notebooks, die wir aus der Schweiz mitgebracht haben, so aufzusetzen und mit Software auszustatten, dass die vorgesehenen Empfänger damit arbeiten können. Hin und wieder gebe ich einem Studierenden auch eine kleine Einführung in die Arbeit mit dem Computer oder mit dem einen oder anderen Programm, wofür sich diese mit grosser Herzlichkeit bedanken.
An einem Nachmittag mache ich mit Yared und Ayene eine kleine Stadtrundfahrt durch die geschäftige Stadt. Die Polizei ist stark präsent und eine greifbare Spannung liegt über ihr, da in wenigen Monaten die Regierung neu gewählt wird, und die mit eiserner Hand regierende Partei unbedingt an der Macht bleiben will, jedoch Angst vor Anschlägen oder ausländischer Einmischung in die Wahlen hat. Auch Peter muss deshalb aufpassen, wenn er als Ausländer sich laufend mit jungen Leuten trifft. Das könnte schnell einmal falsch interpretiert werden.
Abbildung 7: Holy Saviour Catholic Church
An einem Sonntag nach der Messe in der Holy Saviour Catholic Church, sprechen zwei junge Leute Peter vor der Kirche an. Der eine, Asras, ist ein Vollwaise und wuchs im Kinderheim von Mutter Theresa in Addis Abeba auf. Nach Abschluss der Grundschule konnte ihn das Mutter-Theresa-Haus nicht mehr weiter unterstützen. Er hat von Peter und seiner Stiftung gehört und versucht seit drei Jahren, mit Peter in Kontakt zu treten. Er ist häufig in der Messe in der Holy Saviour Church und betet darum, Peter irgendwann treffen zu können. An diesem Sonntag wird sein Gebet erhört, denn er sieht Peter in der Messe und folgt ihm bis nach draussen vor die Kirche und steht nun vor ihm. Der zweite ist Solomon, ein ehemaliger Chemielehrer mit so starkem Tinitus, dass er seinen Beruf aufgeben muss, aber kein Geld hat für die Umschulung zum Chemielaboranten.
Wir gehen zusammen, Yared und Ayene sind inzwischen auch eingetroffen, mit den beiden Äthiopiern ins nahe gelegene Restaurant Hongkong. Dort erzählen die beiden Peter ihre Schicksale. Peter hört wohlwollend zu, berät sich kurz mit Ayene und Yared und entschliesst sich sogleich, den beiden zu helfen. Als wir das Restaurant verlassen, spricht ein Mann Ayene an und fragt, was Peter da mache, er habe ihn schon seit längerem beobachtet. Ayene hat alle Mühe, dem Mann den wahren Zweck des Treffens klar zu machen und mahnt Peter zu grösserer Vorsicht bei solchen Zusammenkünften in der Öffentlichkeit.
Anfang der zweiten Woche ziehen Peter und ich ins Hotel Wutma um, einem einfachen Touristenhotel in der Nähe des Zentrums von Addis. Dort kommt uns Wondy ( Abbildung 9 ) besuchen – ein Student, der mit der Unterstützung von Peter die Hotelfachschule absolviert hat, um mit uns seinen dreissigsten Geburtstag zu feiern. Danach legt sich Peter schlafen, weil er sich am Vortag eine Magenverstimmung geholt hat und noch sehr müde ist.
Abbildung 9: Wondy (links) feiert mit Peter seinen dreissigsten Geburtstag
Am anderen Morgen, dem 2. März trifft Bruno Weber aus der Schweiz ein. Peter, Ayene und Michael holen ihn mit Hailus Taxi vom Flughafen ab. Nach dem Mittagessen und einer weiteren Projektbesprechung legen sich Peter und Bruno hin. Bruno ist müde vom langen Flug und Peter, weil er sich immer noch nicht ganz von der Magenverstimmung erholt hat.
Tags darauf gehen Bruno und ich mit Michael, einem Physikstudent, der auch von der PBF unterstützt wurde, in die Stadt, um das St. Mary´s University College zu besuchen, wo Michael unterrichtet. Wir werden vom Vizepräsidenten der Schule empfangen und nach dem Grund unseres Besuchs gefragt. Ich stelle klar, dass ich zwar Dozent an einer Fachhochschule bin, aber aus rein privatem Interesse und nicht als Vertreter meiner Fachhochschule hier sei. Dann diskutieren wir über die Schulsysteme in Äthiopien und der Schweiz und können schliesslich noch einen der wenigen vorhandenen PC-Räume besichtigen. Dieser ist mit zwei Dutzend PCs aus etwa der Jahrtausendwende ausgestattet. Zum Abschied lässt uns der Vizepräsident wissen, dass jegliche Unterstützung aus der Schweiz für seine Schule hochwillkommen sei. Nach dem Besuch der Schule trinken wir noch einen Kaffee in einem der ersten Kaffeehäuser überhaupt. Kaffee stammt nämlich ursprünglich aus Äthiopien aus der Region Kaffa, von wo er später unter anderem nach Brasilien exportiert wurde. Auch heute ist Kaffee noch eines der wichtigsten Exportgüter Äthiopiens.
Am Abend trifft Regina Haas – als letzte unserer Reisegruppe – in Addis, von Frankfurt her kommend, ein. Wir haben für sie ein Zimmer im neu eröffneten Guest House Ankober – ein umgebautes, ehemaliges Spital – reserviert, das gleich schräg gegenüber vom Hotel Wutma liegt, jedoch etwas mehr Komfort und Sauberkeit bietet.
Abbildung 10: Inzwischen sind Regina und Bruno eingetroffen und die Reisegruppe fliegt nach Lalibela
Am nächsten Morgen früh fliegt die kleine Reisegruppe gleich weiter nach Lalibela in die nördliche Hochebene von Äthiopien, wo Peter die ersten Projekte in Äthiopien realisierte und heute auch die meisten Projekte laufen. Gleich nach der Ankunft in Lalibela am späten Vormittag fahren wir in das Dorf Shim Sha nahe beim Flughafen, wo wir ein Selfemployment-Projekt der PBF besichtigen. Es ist der Barber-Shop von Desalen, den wir sogleich am Flughafen treffen, wo er nebenbei arbeitet. Das Dorf besteht aus wenigen einstöckigen, traditionellen äthiopischen Lehmrundhütten mit Strohdach, sogenannten Tukuls. In einem dieser Tukuls kocht die Mutter Desalens gerade eine Injera (Abbildung 11), eine Art Riesenomelette und das Nationalgericht in Äthiopien, in einem grossen Kuchenblech mit Tondeckel auf offenem Feuer. Vor einer anderen Hütte trennt eine Frau am Boden kauernd mit einem geflochtenen Teller die Spreu vom Korn . Mit langsamen Wippbewegungen wirft sie das Korn samt Spreu in die Höhe. Der Wind bläst die Spreu weg (Abbildung 12), während das Korn zurück in den Bastteller fällt.
Abbildung 11: Mutter Desalens bereitet Injera zu
Abbildung 12: Vor der Hütte trennt eine Frau die Spreu vom Korn.
Nach dem Besuch fahren wir mit dem roten Minibus, zusammen mit ein paar anderen Touristen, weiter auf der alten Landstrasse durch das trockene, aber doch fruchtbare Hochland hinauf nach Lalibela. Bei unserer Ankunft im Hotel Asheton in Lalibela werden wir schon von Getachew, dem lokalen Verantwortlichen für die Projekte in Lalibela, erwartet. Als Peter aussteigt, wird er sofort von Leuten umringt, die ihn erkannt haben und ihn begrüssen wollen. Unter ihnen ist auch Liyu, ein Informatikabsolvent aus Lalibela (Abbildung 13), den wir noch mehrmals treffen sollten. Nachdem wir uns im Hotel eingerichtet haben, gehen wir ins Hotel Seven Olives, ein schönes Touristenhotel mit Aussichtsterrasse, zum Mittagessen. Peter geht darauf ins Hotel zurück, während Regina, Bruno und ich zusammen mit Liyu, dem Informatikstudent, die brühmten Felsenkirchen von Lalibela besuchen. Liyu hat seit seinem Studienabschluss noch keine Stelle gefunden, weil es zum einen erst wenige Stellen in der Informatikbranche gibt, zum anderen die grösseren Firmen lieber indische als einheimische Informatiker anstellen. Liyu verdient sich deshalb seinen Lebensunterhalt, indem er als Guide für die Kirchen in Lalibela arbeitet. Zudem hat er für sie einen Webauftritt entwickelt und betreibt nebenbei noch einen kleinen Internetshop im Hotel Seven Olives. Er plant, eine eigene Computerschule in Lalibela zu eröffnen, wo er Informatikkurse anbieten will, die zu einem von der Regierung anerkannten Zertifikat führen.[1]
Abbildung 13: Liyu erwartet uns bereits vor dem Hotel in Lalibela
Liyu führt uns an diesem Nachmittag durch ein paar der beeindruckenden Kirchen von Lalibela, die im Mittelalter von oben her aus dem Felsen gehauen wurden und zum Teil völlig frei in der Felsengrube stehen (Abbildung 14). Die Kirchen haben aussen meist kunstvoll verzierte Fenster und Simse und gleichen innen orthodoxen Basiliken mit Säulen, Rundbögen und Kuppeln. Der Steinboden in den Kirchen ist mit Teppichen belegt, da die Gotteshäuser nur barfuss betreten werden dürfen. Am Eingang stehen jeweils bereitwillige Helfer, die einem die Schuhe vom Eingang zum Ausgang tragen und auf Wunsch beim Anziehen helfen, hoffend, ein kleines Entgeld dafür zu erhalten.
Als wir am Abend ins Hotel zurückkehren, sitzt Peter mit zwei Äthiopiern draussen an einem Tisch. Die beiden wollen Peter ein Projekt für eine Hühnerfarm vorstellen. Später kommt noch ein Junge vorbei, um einen der Fussbälle abzuholen, den wir ihm am Mittag auf der Strasse verprochen haben.
Abbildung 14: Die berühmten Felsenkirchen von Lalibela
Am Abend essen wir bei Sisinesh in der Unique Bar. Sie kocht für uns extra ein Menu mit Reis und Hühnerfleisch, was aussergewöhnlich ist in dieser Fastenzeit, wo die Einheimischen weder Fleisch, noch Fisch noch Eier essen. Danach gibt es Kaffee, der im Rahmen einer eigentlichen Zeremonie (Abbildung 15) zubereitet wird. Diese beginnt mit dem Rösten der Kaffeebohnen auf einer Eisenplatte auf offenem Feuer. Die Bohnen werden dann von Hand in einem Mörser gemahlen, während auf dem bereitstehenden Kohlenfeuer ein Harzklümpchen verbrennt und würziger Weihrauch im Raum sich ausbreitet. Die gemahlenen Bohnen werden sodann direkt in einen bauchigen tönernen Krug, der sogenannten Jabana, abgefüllt, die bereits Wasser und Zucker enthält, und direkt in die bereitstehende Glut gestellt wird. Sisinesh sitzt dabei auf einem kleinen Schemel in ihrem traditionellen äthiopischen Leinengewand, das mit farbigen Mustern durchwirkt ist, vor einem verzierten Holzkästchen, auf dem zahlreiche Schälchen bereitstehen, die chinesischen Teeschalen ähneln. Kurze Zeit nach dem Einfüllen des Kaffeepulvers nimmt Sisinesh die Jabana und giesst den Kaffee mit würdevoller Geste in die bereitstehenden Schälchen und verteilt sie sodann an die Gäste. Dabei lächelt sie uns mit ihren strahlend weissen Zähnen einladend zu.
Abbildung 15: Sisinesh bereitet frisch gerösteten Kaffee zu
Am nächsten Morgen hat sich bereits früh eine Menschenansammlung, meist Frauen, vor dem Hotel gebildet. Sie warten alle, mit Pickel oder Schaufel ausgerüstet, und hoffen, heute Arbeit beim Bau der neuen Strasse durch Lalibela zu finden. Diejenigen, die angestellt werden, erhalten am Abend jeweils einen Sack Mais, ein Kanister Öl oder sonstige Nahrungsmittel,die sie bei der Ausgabestelle einer internationalen Nahrungsmittel-Hilfsorganisation beziehen können.
Abbildung 16: Taglöhnerinnen suchen Arbeit beim Strassenbau in Lalibela
Wir fahren an diesem Morgen mit Getachew mit einem kleinen Bus in das einige Kilometer weiter unten in der Ebene liegende Dorf Senja Gabia. Auf dem Weg dorthin treffen wir immer wieder Kinder und Frauen an (Abbildung 17), die schwere Holzlasten in sengender Hitze mehrere Kilometer weit hinauf nach Lalibela zum Markt tragen. Das Dorf Senja Gabia besteht aus einigen Tukuls, die an einem kleinen Abhang nahe der staubigen Landstrasse nach Lalibela liegen. Kaum haben wir angehalten, werden wird von neugierigen Kindern und Jugendlichen umringt. Getachew zeigt uns die Bienenstöcke, welche die Einwohner im Rahmen eines Honigprojektes bis vor kurzem in einem Bienenhaus gehalten haben und die jetzt den Bauern zur eigenen Weiterpflege übergeben worden sind. Etwas weiter unten steht die einzige Blechhütte im Dorf. Dort drin befanden sich bis vor Kurzem noch metallene Webstühle, wo die Bauern im Rahmen eines Selbsthilfeprojekts der PBF lernten, effizient Leinenstoffe mit attraktiven Mustern zu weben. Bis dahin webten die Einwohner nur einfache Leinenstoffe auf selbst gebastelten Holzwebstühlen. Dabei mussten sie in einer Erdgrube sitzen, was das Weben sehr mühsam machte. Die neuen Webstühle wurden später ebenfalls an die Bauern abgegeben, so dass die Blechhütte im Moment leer steht. Dies wird sich jedoch bald ändern.
Abbildung 17: Kinder tragen schwere Holzlasten auf kilometerweit auf den Wochenmarkt in Lalibela
Getachew zeigt uns danach, wie die Einwohner mit den Eseln, die sie ebenfalls von der PBF erhalten haben, Wasser aus dem ca. 1 km entfernten Bach holen, der auch in der Trockenzeit noch etwas Wasser führt (Abbildung 18). Das Wasser brauchen sie zum Kochen und Trinken für sich und die Tiere und zum Begiessen ihrer Gärten. Getachew hat eigens dazu Wassersäcke für die Eselbesitzer besorgt, die sie auf ihre Esel binden können und so eine grosse Wassermenge aufs Mal vom Bach holen und in den Gärten verteilen können. Dank diesem Wasser konnte hier auch Arthemisia angebaut werden. Arthemisia ist eine Heilpflanze, deren Tee sehr gute Erfolge bei Malaria-, HIV- und auch sonst geschwächten Personen zeigt, wie uns Beatrice Gill, die dieses Projekt initiierte, später in der Schweiz erzählt. Die Esel werden nicht nur für das Wasserholen gebraucht, sondern sind ebenso nützlich beim Holz beschaffen, das hier im Umkreis von einigen Kilometern gesammelt werden muss, oder um die Waren hinauf zum Markt in Lalibela zu transportieren.
Abbildung 18: Esel der PBF helfen, schwere Lasten zu tragen, wie z.B. beim Transport von Wasser für den Haushalt und die Felder
Bei unserer Rückfahrt treffen wir unverhofft auf eine Schar von etwas 20 Kindern, die in einem kleinen Tukul unterrichtet werden (Abbildung 19). Es ist ein Kindergarten, wo die Schüler am Boden kauernd eben das englische Alphabet lernen. Die Lehrerin erzählt uns, dass sie jahrein jahraus hier unterrichtet, was während der Regenzeit sehr schwierig ist. Sie möchte in Zukunft auch noch eine 3. und 4. Klasse an diesem Ort anbieten, da die nächste Schule mehrere Kilometer entfernt ist. Peter macht ihr kurzerhand das Angebot, dass sie mit ihren Schülern in die Blechhütte ziehen könne, wo früher die Webstühle gestanden hatten und die jetzt leer steht. So kann die damals für die Webstühle gebaute Blechhütte wieder einem würdigen Zweck zugeführt werden.
Zurück in Lalibela, besuchen wir am Nachmittag die Pharmacy der PBF (Abbildung 20), die vom Apotheker Abebe geleitet wird. Dort erhalten die Einwohner nebst Medikamenten auch Artemisia-Tee und Ratschläge zu Gesundheit, Aids, Familienplanung und Anderes mehr. Danach statten wir der Secondary School von Lalibela noch einen Besuch ab, wo etwa 30 Jugendlichen gerade eine Englischlektion von einem jungen Äthiopier in weissem Kittel erteilt wird. Die Lehrmittel stammen aus den USA und wurden eigens für Entwicklungsländer entwickelt.
Abbildung 19: Kindergarten in Shim Sha
Abbildung 20: Die Pharmacy der PBF in Lalibela
Danach besuchen wir zusammen mit Abebe einen ersten Slum in Lalibela, wo alleinstehende Frauen, meist Witwen, von der PBF unterstützt werden (Abbildung 21Abbildung 22). Diese Frauen leben alleine in einem kleinen Tukul mit einer Holztüre meist ohne Fenster. Dort schlafen sie auf einer Pritsche gleich neben der Feuerstelle, auf der sie Injera oder Kaffee zubereiten, falls sie das noch können. Den kleinen Raum teilen sie sich oft mit ein-zwei Hühner oder einer Ziege oder einem Schaf, manchmal sogar mit Enkelkindern, deren einzige Bezugsperson sie sind, da deren Eltern nicht mehr leben. Die Frauen haben oft nur die Kleider, die sie gerade tragen. Manche von ihnen sind schon seit Jahren bettlägerig und haben offene Wunden am Körper die nicht mehr ausheilen. Diese Frauen gehören wirklich zu den Ärmsten der Armen: Sie haben keine Angehörige mehr, auf die sie zählen können und sind schlussendlich durch die Maschen der an sich schon armen Gesellschaft und der Entwicklungshilfe gefallen. Daher sind sie nicht auf den Strassen zu sehen, sondern nur dann, wenn man sich in ihr Elend in die Slums hinein begibt.
Abbildung 21: Alleinstehende Witwen gehören in Äthiopien zu den Ärmsten der Armen
Abbildung 22: Sie werden von der PBF mit Nahrung, Kleider und medizinischer Betreuung unterstützt
Vielen dieser Frauen hat Peter zusammen mit Beatrice Gill, die diese Frauen über Monate betreut hat, geholfen. Sie bekommen neue Kleider, eine kleine Rente für Nahrungsmittel und vor allem medizinische und sanitäre Betreuung. Dadurch können Frauen, die vorher über Jahre bettlägrig waren, wieder aufstehen, selber etwas für sich zubereiten oder gar kleine Körbe flechten, die sie auf dem Markt verkaufen können. Diese Frauen, die trotz ihrer trostlosen Lage ihre Würde bewahrt haben, ihre ehrliche Dankbarkeit und die enorm wertvolle Arbeit, welche die Helfer vor Ort für die PBF leisten, beeindrucken mich tief.
Bevor wir an diesem Tag einen zweiten Slum auf der anderen Seite der Stadt besuchen, statten wir dem Regionalspital in Lalibela einen Besuch ab. Neben ein paar Dutzend Metall-Betten weist dieses kaum medizinische Infrastruktur auf und es können nur notdürftigste Eingriffe gemacht werden. Im zweiten Slum treffen wir wieder diese alten Frauen in menschenunwürdigen Lebensumständen an. Die eine lebt zusammen mit ihrer schwangeren Tochter ohne Mann, die andere mit zwei Enkelkindern, die neben den Hühnern schlafen. Viele von ihnen sind HIV-positiv.
Abbildung 23: Die einen Witwen sind blind oder HIV-posotiv….
Nach dem eindrücklichen Besuch des Waisenhauses führt uns Peter zu seinem grössten Häuserprojekt in Lalibela. Auf einem Hügel gegenüber den Felsenkirchen liess Peter zwölf Häuser für die Slum-Bewohner und Obdachlosen in Lalibela errichten ( Abbildung 27 ). Heute leben dort 48 Familien aus ärmsten Verhältnissen, meist Mütter und Grossmütter mit ihren Kindern und Kindeskindern. Die Lehmhäuser verfügen über ein Blechdach und eine Kochstelle ausserhalb des Hauses sowie einen gemeinsamen Wasseranschluss. Einige der Bewohner haben begonnen, kleine Gärten vor den Häusern anzupflanzen. In einem der Häuser werden wir zu einer Kaffeezeremonie eingeladen, was wir gerne annehmen.
Abbildung 27: Das Häuserprojekt der PBF auf einem Hügel gegenüber den Felsenkirchen in Lalibela
Beim Verlassen des Hauses fällt uns die Menschenmenge auf, die sich auf der nahe gelegenen Einfallsstrasse in Richtung Stadtzentrum bewegt: Männer und Frauen mit Eseln, die schwere Lasten tragen, mit Vieh, Ziegen und Schafen und vieles mehr. Bald erfahren wir, dass heute Markt ist in Lalibela ist, wo Tausende von Menschen zusammen kommen, um Waren zu kaufen oder zu verkaufen (Abbildung 28).
Abbildung 28: Markt in Lalibela
So besuchen wir kurz entschlossen am Nachmittag den Markt auf einer Anhöhe am Rande der Stadt. Auf dem Markt wimmelt es nur so von Leuten, die gesammeltes Holz, Gewürze, Zwiebeln, Knoblauch, Honig, Esel, Stoffe und vieles andere mehr feil bieten. Die meisten sitzen am Boden, wo sie auf einer hingelegten Blache, wo sie ihre Ware zum Verkauf ausgebreitet haben. So ist es manchmal schwierig, sich durch die Menschenmassen zwischen den Blachen zu bewegen, ohne jemandem auf die Füsse oder auf die ausgelegte Ware zu treten.
Nach dem Markt besuchen wir noch einmal alleinstehende Frauen in den Slums in der Nähe der Felsenkirchen, denen die PBF geholfen hat. Auch diese Frauen leben in einfachsten Tukuls oder Hütten (Abbildung 29), einige von ihnen sind blind. Manche umarmen und küssen uns aus Dankbarkeit für die Hilfe, die sie erhalten.
Abbildung 29: Die verlassenen Witwen von Lalibela und ihre Behausungen
Am letzten Tag unseres Aufenthaltes in Lalibela steht der Besuch des zweiten Waisenhauses der PBF in Lalibela auf dem Programm. Zuvor besuchen wir eine Art Jugendtreff, wo sich Jugendliche regelmässig treffen, um über aktuelle Themen zu diskutieren (Abbildung 30). Heute geht es um AIDS-Aufklärung. 20-30 junge Leute, Mädchen und Buben , sitzen gespannt auf den Stühlen entlang den Wänden des Raumes. Ein Mann um die Vierzig erzählt lebhaft die Geschichte von seiner Krankheit, von seinem Schicksal und von seinem heutigen Leben, und warnt eindringlich vor den Gefahren der Ansteckung mit dieser heimtückischen Krankheit. Die Botschaft scheint anzukommen, entwickelt sich doch bald eine rege Diskussion zwischen ihm und den Zuhörenden. In der Mitte des Raumes sitzt derweil ein Mädchen und bereitet die Kaffeezeremonie vor, zu der wir später eingeladen sind.
Abbildung 30: AIDS-Aufklärung für Jugendliche
Als wir beim Waisenhaus eintreffen, erwartet uns bereits eine Schar Jugendlicher (Abbildung 31). Es sind elf ehemalige Strassenkinder, alles Burschen, die früher auf den Strassen Lalibelas bettelten und auf oder unter der Strasse wohnten. Sie alle gehen nun zur Schule und einige gehören zu den besten in ihrer Klasse. Sie werden von Mehari, einem PBF-Mitarbeiter vor Ort, und seinem Team fürsorglich betreut aber auch eng überwacht, damit sie ihr Ziel, einen guten Schulabschluss zu erreichen und einmal selbständig für sich selber sorgen zu können, nicht aus den Augen verlieren. Die Jugendlichen wirken bei unserem Besuch ruhig und besonnen. Sie zeigen uns stolz ihre selbst angefertigten Zeichnungen, meist mit religiösen Motiven, sowohl ihre gesanglichen oder sportlichen Kunststücke. Auch hier bekommt man den Eindruck, dass junge begabte Menschen eine neue Zukunft erhalten und sie entschlossen sind, diese Chance zu packen. Zum Mittagessen sind wir bei der Mutter von Mehari eingeladen, die auch für die Waisenkinder kocht.
Abbildung 31: Waisenhaus für Strassenkinder in Lalibela
Nach dem Mittagessen zeigt uns ein Einheimischer, wie er bei sich zu Hause in seiner Hütte mit einem Messer und einer Bratpfanne auf offenem Feuer aus Kartoffeln Chips herstellt, diese in Plastikbeutel verpackt und mit einer Kerze versiegelt, um sie dann im Dorf zu verkaufen (Abbildung 32). Es erstaunt mich immer wieder, wie mit bescheidenen Mitteln aber mit Einfallsreichtum sich hier ein kleines Geschäft betreiben lässt.
Abbildung 32: Ein findiger Äthiopier produziert Kartoffelchips in Handarbeit
Nach dieser eindrücklichen Vorführung gehen wir hinunter zum Fussballplatz von Lalibela. Dort spielen zwei Mannschaften, die Peter mit Fussballleibchen und Fussbällen aus der Schweiz unterstützt hat (Abbildung 33). Als Peter aus dem Auto steigt, wird er alsbald von den Spielern der beiden Mannschaften umringt und vor Spielanpfiff gibt es noch ein Mannschaftsfoto mit dem Sponsor aus der Schweiz.
Abbildung 33: Mannschaftbild mit Leibchensponsor
Am Tag darauf fliegen wir wieder zurück nach Addis Abeba, wo wir die restlichen Tage, bis zur Rückreise von Peter, im Guest House Ankober verbringen. Am Tag vor seiner Abreise lädt Peter – anlässlich seines 70. Geburtstags – die von der PBF unterstützten Studierenden zum Mittagessen ein (Abbildung 34). Etwa 50 folgen der Einladung und finden sich im Garten des Restaurants Peram ein. Nach dem schmackhaften Injera-Buffet bedanken sich viele der Anwesenden mit persönlichen Ansprachen bei Peter und seiner Stiftung für die wertvolle Unterstützung, die sie für ihr Studium erhalten. Zudem überreichen sie Peter und uns als Geschenk je einen Morgenmantel, aus Leinen gewoben, und mit typisch äthiopischen Mustern verziert.
Abbildung 34: Peter feiert seinen 70. Geburtstag mit den von der PBF unterstützten Studierenden
Am Tag darauf verabschieden wir uns von Peter, der in die Schweiz zurück fliegt. Regina, Bruno und ich reisen weiter in den Süden und Osten von Äthiopien, um weitere Projekte der PBF zu besuchen. Abba Amanuel, ein Kapuziner-Priester, dessen Familie mit Peter befreundet ist, hat sich freundlicherweise bereit erklärt, uns mit einem Wagen der Kapuziner auf der Reise in den Süden und Osten zu fahren. So fahren wir mit dem weissen Toyota Landrover von Abba Amanuel zu fünft – Yared reist als Verantwortlicher für diese Projekte ebenfalls mit – Richtung Süden nach Hosana. Die Landschaft südlich von Addis ist erstaunlich grün mit viel Wiesland abwechselnd mit Eukalyptuswäldern und Äckern, als die noch wie vor 2000 Jahren mit einem Ochsengespann und einem Holzpflug bearbeitet werden (Abbildung 35).
Abbildung 35: Äthiopischer Bauer pflügt seinen Acker
Abbildung 36: Beschauliches Anwesen bei Hosana
Am Mittag kommen wir in Hosana an und Abba Amanuel lädt uns zu sich nach Hause in Shelele, einige Kilometer von Hosana entfernt, ein. Die Familie besitzt ein stattliches Anwesen mitten im Grünen mit drei Tukuls und einem kleinen Haus (Abbildung 36). Wir werden von der Familie herzlich empfangen und zu einem reichen Injera-Buffet eingeladen. Zum Dessert gibt es eine Spezialität der Gegend: Kaffee, aber nicht etwa mit Zucker, sondern mit Salz und Butter! Beim besten Willen müssen wir nach ein paar wenigen Schlücken die Segel streichen und aufgeben, bevor sich unser Magen gänzlich umstülpt.
Nach dem Essen besuchen wir zwei von sieben Frauen in Shelele, die im Rahmen des Eselprojekts der PBF je einen Esel erhalten haben (Abbildung 37). Die beiden Frauen leben in der Nähe von Amanuels Familie, jede in einem mittelgrossen Tukul, zusammen mit Kindern und Kindeskindern und ein paar Hühnern, aber ohne Mann. Um die Tukuls herum haben die Frauen Ensete (False Bananas) angepflanzt, deren Wurzeln als Grundbestandteil verschiedener Gerichte dienen. Auf der Wiese wächst zudem ein echter Bananenstrauch mit noch unreifen Bananen und daneben sind mehrere Strohhaufen aufgeschichtet als Futter für die Tiere. Die Frauen unterstreichen, wie wichtig die Esel für sie sind, um frisches Wasser vom kilometerweit entfernten Brunnen zu holen, oder Brennholz aus den Wäldern zu transportieren. Die Frauen haben sich sogar zusammen getan, um mit jeweils zwei Eseln ihre kleinen Äcker zu pflügen.
Abbildung 37: Eine Witwe mit ihrem Esel von der PBF
Am anderen Morgen fährt uns Abba Amanuel nach Funto, wo sich seine Pfarrei mit ca. 7000 Katholiken aus 20 Gemeinden befindet. Die Leute kommen von weit her aus den Bergen hierhin zur Messe, wofür sie 2-3 Stunden Weg unter die Füsse nehmen (Abbildung 38). Abba Amanuel möchte auf dem Grundstück seiner Kirche einen Kindergarten und ein kleines Haus für sich selber bauen, damit er näher bei den Mitgliedern seiner Pfarrei sein kann.
Abbildung 38: Pfarreigebiet von Abba Amanuel
Nach dem Besuch fahren wir weiter nach Durame, wo uns Markos Yohannes eines der sieben von PBF gebauten Häuser für Witwen zeigt. In Zusammenarbeit mit den Behörden wurde eine Liste mit den 15 ärmsten Witwen in der Umgebung von Durame erstellt. Inzwischen ist für sieben dieser Witwen ein Haus gebaut worden. Eine dieser Witwen können wir besuchen, da sie in der Nähe wohnt. Das neue Lehmhaus mit Blechdach steht gleich neben ihrem kleinen Tukul, den sie früher bewohnt hat. Die Witwe wohnt jetzt zusammen mit ihren 12 Kindern und Kindeskindern im neuen Haus und eine ihrer Töchter in ihrem Tukul nebenan (Abbildung 39). Die Kinder lebten früher auf der Strasse und bettelten, da die Witwe in ihrem kleinen Tukul kaum Platz für sich selber hatte. Seit sie das neue Haus bewohnt, sind die Kinder von der Strasse wieder zu ihr zurück gekehrt und können jetzt auch zur Schule gehen. Bei unserem Besuch empfängt uns die Witwe mit offenen Armen vor ihrem Haus, umarmt und küsst uns und weiss kaum, wie sie der PBF danken soll. Dieses Projekt zeigt uns, wie durch die gezielte Unterstützung einer Witwe einer ganzen Grossfamilie nachhaltig geholfen werden kann.
Abbildung 39: Ein Haus für eine Witwe führt eine ganze Grossfamilie wieder zusammen
Nach dem Besuch in Durame fahren wir weiter nach Sodo und übernachten schliesslich bei Abba Fikadu Figu, der mit drei anderen Kapuzinern in einem kleinen abgeschiedenen Kloster bei Boditi lebt. Am anderen Morgen fahren wir mit Abba Fikadu nach Lera. Dort besuchen wir ein Community-Projekt, wo zehn Witwen von der PBF je eine Kuh bekommen haben sowie zwei Stiere, um eine kleine Zucht starten zu können (Abbildung 40). Die einheimischen Milchkühe sind mit 2 Gläsern Milch pro Melkung natürlich mit hiesigen Milchkühen, bezüglich Milchleistung nicht zu vergleichen. Es macht jedoch wenig Sinn, ausländische Milchkühe einzusetzen, da die Bauern diese auf ihrem Land gar nicht ernähren könnten, sondern Futter zukaufen müssten. Zudem brauchen die ausländischen Kühe eine viel aufwändigere Pflege.
Abbildung 40: Kühe für die Witwen von Shelele
Die Witwen haben sich zu einer Community zusammen geschlossen, um gemeinsam das Land zu bebauen und gegen die Armut anzukämpfen. Neben der Milchwirtschaft pflanzen sie auch Mais und False Bananas an. Da der einheimische Mais im Rahmen ausländischer Entwicklungshilfe durch fremdländischen Hybridmais verdrängt wurde, der weder lagerbar ist noch als Saatgut verwendet werden kann, müssen sie jedes Jahr wieder neues Hybridmais-Saatgut kaufen und bleiben damit abhängig von den Saatgutlieferanten. Die Bauern in Lera hatten früher auch eine Windwasserpumpe, die von italienischen Entwicklungshelfern installiert worden ist (Abbildung 41). Diese ist aber seit längerem nicht mehr in Betrieb, weil offenbar die Ersatzteile und das Know-How für die Reparatur fehlen…
Abbildung 41: Stllstehende Entwicklungshilfe…
Am nächsten Morgen fahren wir weiter nach Awassa. Auf dem Weg statten wir einer Schule in Dubo einen Besuch ab (Abbildung 42). Die Schule wurde ursprünglich von französischen Missionaren aufgebaut. Sie hat von einer Firma aus England einen PC-Raum gesponsert bekommen. Die PBF hat dabei die Transportkosten für die PCs übernommen. Bei unserem Besuch können wir den PC-Raum besichtigen, wo ca. 15 PC stehen, die mit Tüchern abgedeckt sind. Der zuständige Lehrer versichert uns, dass zurzeit 12 der 15 Computer funktionieren und der Computerraum noch heute regelmässig benutzt wird. Nach einer kurzen Besichtigung der anderen Schulzimmer zeigt man uns das noch mehrheitlich leerstehende Chemie- und Biologielabor, welches sich gemäss Angaben des Lehrers im Aufbau befindet. Dann verlassen wir die Schule mit der fröhlichen Kinderschar in Schuluniform und machen uns auf den Weg nach Awassa.
Abbildung 42: Schule in Dubo
Am folgenden Tag besuchen wir zuerst Wondo Geneth mit seinen heissen Quellen in der Nähe von Awassa, bevor wir in nördlicher Richtung vorbei am Lake Langano, Ziway und Koka bis nach Nazret fahren. Dort können wir wieder bei den Kapuzinern übernachten. Am nächsten Morgen fahren wir früh los, da wir einen weiten Weg bis nach Asebe Teferi im Osten Äthiopiens vor uns haben. Unser erster Zwischenhalt gilt einer Klosterschule der Kapuziner in Metehara, wo uns Abba Adane den vor 30 Jahren erbauten Kindergarten für über 200 Kinder zeigt. Für diese 200 Kinder sind nur zwei Räume für je 80 Kinder verfügbar. Deshalb steht der Bau von zusätzlichen Räumen zuoberst auf der Prioritätenliste. Es gibt zwar weitere Räumlichkeiten auf dem Areal, diese sind aber nicht für den Kindergarten vorgesehen. Kurz vor Metehara treffen wir beim Lake Basaka das erste Mal mit der von den Franzosen erbauten, und vor zwei Jahren still gelegten Bahnlinie von Addis Abeba nach Djibouti zusammen. Die Strasse nach Asebe Teferi verläuft ab hier entlang dieser Bahnlinie bis Mieso, wo sie die Bahnlinie rechts verlässt und in die Berge nach Asebe Teferi abzweigt. Dort treffen wir am Nachmittag im Kapuzinerkloster oberhalb der Stadt ein. Abba Yohannes Haile empfängt uns herzlich am Eingang des einstöckigen Hauses der Kapuziner. Neben dem Kapuzinerhaus thront eine monumentale Kirche (Abbildung 43), von deren Eingang man über die ganze Stadt und in die Berge blickt. Die Kirche wurde mit grosszügiger Unterstützung aus Deutschland und Rom erbaut und 2009 eingeweiht.
Abbildung 43: Monumentale Kapelle in Asbe Teferi
Nachdem wir unsere Zimmer bezogen haben, stellt uns Abba Yohannes eine Gruppe von Schülern vor, die von der PBF unterstützt werden (Abbildung 44). Die Schüler stammen mehrheitlich aus der Pfarrei von Abba Yohannes und sind im ersten bis zehnten Schuljahr. Nacheinander stellen sie sich vor und erzählen uns, was sie einmal werden möchten. Wir versuchen sie zu ermuntern, ihr bestes in der Schule zu geben, damit sie ihr Ziel einmal erreichen werden.
Abbildung 44: Studierende in Asbe Teferi
Am nächsten Morgen führt uns Abba Yohannes nach Cheffa in die Berge östlich von Asebe Teferi. Wir fahren über ein Stunde mit dem Auto durch die schöne Berglandschaft bis nach Doba, einem kleinen Bergdorf. Nach den engen Gassen von Doba geht es weiter auf einem schmalen Weg in die Berge, bis wir das Auto vor einer Brücke, die eine Woche zuvor weggeschwemmt worden ist, stehen lassen und auf Maultiere umsatteln müssen (Abbildung 45).
Abbildung 45: Weggeschwemmte Brücke bei Doba
Dann geht es nochmals etwa zwei Stunden die Hügellandschaft hinauf, wo wir in Cheffa, einem Weiler mit einer Hand voll Häusern ankommen. Dort erwartet uns bereits eine grosse Menschenansammlung, die uns mit Gesängen und Tänzen willkommen heisst (Abbildung 46). So einen Empfang haben wir noch nie erlebt. Nach der Begrüssungszeremonie begeben wir uns zum Haus, wo die Mühle steht, welche die PBF dem Dorf geschenkt hat. Sie läuft Tag und Nacht, damit die Bauern aus der Umgebung ihr Korn mahlen können. Früher mussten sie ihr Korn bis nach Doba bringen, um es mahlen zu lassen, was mehr als einen Tag dauerte. Mit der Mühle sparen die Frauen und Kinder viel Zeit, die sie nun für die Hausaufgaben und andere Hausarbeiten einsetzen können. Der Dorfälteste und eine Vertreterin der Frauen würdigen das Geschenk der PBF mit einer kleinen Ansprache vor der versammelten Menschenmenge, die aufmerksam zuhört und applaudiert.
Abbildung 46: Frauen tanzen anlässlich der Ankunft der PBF-Delegation
Wir brechen eine gute Stunde später wieder auf, weil wir weiter oben bei der Bergkapelle St. Marc zum Mittagessen erwartet werden. Verschiedene Bewohner begleiten uns dorthin. Als wir ankommen, wartet bereits wieder eine Schar von Jugendlichen jedoch auch alte Frauen auf uns. In einem Haus hinter der Kirche steht das Mittagessen für uns bereit. Während wir drinnen die einfache Mahlzeit geniessen, warten die Leute geduldig draussen vor dem Eingang. Als wir hinaus gehen, führen Knaben fünf Esel auf die Wiese hinter der Kirche. Diese sollen heute feierlich an fünf Witwen übergeben werden. Die Witwen haben sich bereits in einer Reihe aufgestellt und warten gespannt auf die Übergabe (Abbildung 47). Yared hat für die Übergabe Lose vorbereitet, auf denen je ein Name der fünf Witwen geschrieben ist. Jeder der Knaben zieht nun ein Los und liest den darauf stehenden Namen vor. Die betreffende Witwe tritt hervor und erhält den Esel des Knaben. In herzlicher Dankbarkeit nehmen die Frauen ihren Esel entgegen und erwähnen nochmals, wie wichtig dieser Esel für sie hier in den Bergen ist.
Abbildung 47: Witwen in St. Marc erhalten je einen Esel
Nach der Übergabe der Esel treffen wir im Haus nochmals 19 Schülerinnen und Schüler aus dieser Bergregion, die ebenfalls von der PBF unterstützt werden (Abbildung 48). Früher mussten sie täglich mehr als zwei Stunden zu Fuss in die Schule nach Doba gehen und am Abend wieder zurück. Mit der Unterstützung können sie sich nun unter der Woche zu zweit eine einfache Unterkunft leisten, wo sie gemeinsam kochen, lernen und Hausaufgaben machen.
Abbildung 48: Die Studierenden von Lera, die von PBF unterstützt werden
Nach diesen eindrücklichen Erlebnissen kehrt die Reisegruppe wieder nach Cheffa zurück. Abba Amanuel ist inzwischen mit seinem Auto auf einem anderen Weg nach Cheffa gefahren. So besteigen wir das Auto und fahren mit Abba Amanuel auf einem steilen, holprigen und stellenweise abenteuerlichen Weg durch Felder und Bachbette, vorbei an Kakteenhainen, zurück nach Doba. An einem Bachbett treffen wir unvermittelt auf einen Geländewagen einer NGO, der einen Federbruch erlitten hat und regungslos auf dem sonst schon schmalen Weg am Rand des Bachbetts steht (Abbildung 49). Nach längeren Diskussionen schaffen wir es mit vereinten Kräften und Schweizer Präzision, den Wagen von Amanuel am anderen Wagen vorbei zu lotsen.
Abbildung 49: Schwierige Passage auf dem Rückweg von Cheffa
Als wir in Doba ankommen ist die Erleichterung bei Fahrer und Passagieren greifbar. Auf der Fahrt weiter nach Asebe Teferi bemerken wir auf einmal Rauch aus dem linken Vorderrad unseres Wagens emporsteigen. Da wir vermuten, dass der Wagen Bremsflüssigkeit verliert, fahren wir in niedrigem Gang und äusserster Vorsicht den Berg hinunter und schaffen es gerade noch bis Asebe Teferi. Während Abba Amanuel sein Auto gleich in die nächste Garage fährt, nimmt uns Abba Yohannes mit seinem Wagen, den er zufällig gerade bei derselben Garage abholen kann, mit zurück ins Kapuzinerkloster.
Am nächsten Morgen möchten wir früh aufbrechen, da wir zurück bis nach Addis fahren wollen. Da der Wagen jedoch noch nicht repariert ist, die Reparaturarbeiten am Vorabend mussten wegen Dunkelheit unterbrochen werden, bleibt uns noch etwas Zeit, um die Franziskaner-Schwestern zu besuchen, deren Kloster sich gleich unterhalb der St. Georg Kirche der Kapuziner befindet. Die beiden Ordensschwestern Agamaria und Hanna (Abbildung 50, Abbildung 51) zeigen uns ihr kleines Spital, wo sie nebst medizinischer Beratung auch kleinere Untersuchungen und Behandlungen durchführen können. Früher führte ein Arzt hier sogar Augenoperationen durch. Das Spital wird zurzeit mit staatlicher Unterstützung ausgebaut, um dem Ansturm von Patienten besser gerecht zu werden. Neben dem Spital betreiben die Schwestern auch noch einen Kindergarten und eine private Schule für Kinder im 1. bis 4. Schuljahr. Wegen der grossen Nachfrage planen die Schwestern, die Schule bis zum 8. Schuljahr auszubauen. Wir bewundern ihren unbändigen Tatendrang und ihren enormen Einsatz, mit denen sie ihr kleines Kloster, das Spital und die Schule betreiben und für die ärmsten Menschen da sind.
Abbildung 50: Schwester Hanna
Abbildung 51: Schüler der Schwesternschule
Zum Schluss laden uns die Schwestern in ihr Haus ein, wo sie selber wohnen und sich zum Gebet zurückziehen. Bei einer Tasse Tee und Kuchen erzählen sie uns von ihren Plänen und Nöten, aber auch, dass vor kurzem in Shelele eine Protestantin eine Marienerscheinung gehabt habe, die von einem katholischen und einem orthodoxen Priester bezeugt worden sei. Dies wäre unseres Wissens die erste Marienerscheinung auf dem afrikanischen Kontinent überhaupt und auch wegen der sonstigen Umstände höchst bemerkenswert.
Gegen 11 Uhr verlassen wir die Schwestern tief beeindruckt von ihrer Arbeit und mit herzlichem Dank für ihre Führung. Abba Amanuel ist inzwischen mit seinem Auto zurück gekommen, so dass wir die Fahrt nach Addis endlich in Angriff nehmen können. Die Rückfahrt nach Addis verläuft erfreulich problemlos, so dass wir das Hotel Ankober in Addis noch am frühen Abend erreichen. Wir bedanken uns gebührend bei unserem Fahrer Abba Amanuel für die gute Fahrt und verabschieden uns von ihm.
Am nächsten Morgen bleibt Bruno im Hotel, da er sich erkältet hat, während Regina und ich mit Yared noch einen Tagesausflug nach Debre Libanos unternehmen. Unser heutiger Fahrer Temesgen leitet dort ein weiteres Eselprojekt der PBF. Fünf Esel konnten bereits an ausgewählte Witwen verteilt werden, zehn weitere sollen noch folgen. Auf einer kleinen Anhöhe am Abhang zum Blauen Nil treffen wir die fünf Witwen, die bereits einen Esel erhalten haben (Abbildung 52). Sie scheinen deutlich jünger zu sein als die anderen Witwen, die wir bisher getroffen haben, und tragen zum Teil noch Kleinkinder in einem Tuch eingewickelt auf ihrem Rücken. Auch sie sind sehr dankbar für ihre Esel, die ihnen die schweren Lasten im Alltag abnehmen.
Abbildung 52: Witwen aus Debre Libanos, die Esel von PBF erhielten
Nach dem Treffen fahren wir weiter der Strasse entlang bis zum Kloster Debre Libanos, einem vielbesuchten Kloster der äthiopisch-orthodoxen Kirche. Auf dem Rückweg fallen uns, wie schon auf dem Hinweg, die saftig grünen Wiesen auf, die uns zusammen mit den sanften Hügeln an das Appenzellerland in der Schweiz erinnern (Abbildung 53).
Abbildung 53: Die grünen Weiden bei Debre Libanos
Am letzen Tag vor Brunos Rückreise in die Schweiz machen wir zusammen eine kleine Stadttour und besuchen das Ethnologische Museum in der Universität von Addis Abeba. Dort werden neben der jüngeren Geschichte Äthiopiens auch die vielen verschiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen Äthiopiens mit ihren Riten, Alltags- und Kunstgegenständen vorgestellt, von denen wir etliche auf unserer Reise bereits angetroffen haben. Danach besuchen wir den verlassenen Sackbahnhof der erwähnten Bahnlinie von Djibouti nach Addis, die seit ein paar Jahren wegen dem Krieg mit Somalia stillgelegt ist, aber wieder in Betrieb genommen werden soll. Am Abend gehen Regina, Bruno und ich noch ein letztes Mal zusammen essen in der Pizzeria Napoli unweit vom Hotel.
Abbildung 54: Der verlassene Sackbahnhof der stillgelegten Eisenbahnlinie von Addis Abbeba nach Djibouti
In den letzten Tagen vor meiner Rückreise machen Regina und ich einen kleinen Abstecher mit dem Flugzeug nach Bahir Dar an den Tana-See, der lange unbekannten Quelle des Blauen Nils. Hier besuchen wir ein paar Klöster auf den zahlreichen Inseln des riesigen Sees und schliesslich treffen wir am Ausfluss des Blauen Nils aus dem See auf eine Gruppe von Nilpferden, die hier zwar heimisch, aber trotzdem schwer aufzuspüren sind.
Abbildung 55: Paddler mit seinem Tankwa auf dem Tana-See
Am zweiten Tag mieten Regina und ich einen Kleinbus mit Fahrer und lassen uns an die Wasserfälle des Blauen Nils fahren. Diese waren früher noch viel imposanter, bevor die Regierung ein Wasserkraftwerk gebaut hat, das mehr als 90 Prozent des Wassers für sich abzweigt. Aber auch mit der restlichen Wassermenge geben die Wasserfälle noch ein eindrückliches Landschaftsbild ab, das die tosenden Wassermassen von früher gut erahnen lässt (Abbildung 56).
Abbildung 56: Wasserfälle des Blauen Nils beim Tana-See
Auf dem Weg zu den Wasserfällen und zurück nehmen wir ein paar Leute mit, die mit schweren Lasten der staubigen Strasse entlang zum Markt in Bahir Dar oder nach Hause pilgern. Dabei sind wir perplex, wie schwere Lasten diese zierlichen Frauen kilometerweit tragen, für die es zwei starke Personen braucht, um sie der Frau auf den Kopf zu hieven bzw. wieder herunter zu nehmen (Abbildung 57).
Abbildung 57: Äthiopierin mit ihrer schweren Last
Am Abend vor meinem Rückflug nach Addis trifft uns unerwartet die Nachricht, dass eventuell die Flugzeuge morgen nicht in Bahir Dar landen können, weil seit unserer Ankunft hier dichter Staubnebel über der Stadt liegt. Regina und ich treffen deshalb Vorbereitungen, um am nächsten Morgen mit einem Mietauto nach Gondar zu fahren, was etwa drei Stunden dauern würde. Von dort aus könnten wir weiter nach Lalibela bzw. Addis Abeba fliegen. Am nächsten Morgen hat sich aber der Nebel glücklicherweise gelichtet, so dass wir plangemäss nach Gondar abfliegen können. Da Regina noch eine Woche länger bleibt, fliegt sie von Gondar aus direkt nach Lalibela weiter, während ich nach Addis zurück fliege. Wir verabschieden uns im Flugzeug, nachdem es in Gondar gelandet ist. Ich steige aus und Regina bleibt für den Weiterflug nach Lalibela sitzen. Weil mein Flug erst einige Stunden später ist, entschliesse ich mich kurzerhand, noch einen kleinen Ausflug zu Fasilidas´ Palast in Gondar zu machen (Abbildung 58). Vom mittelalterlichen Palast stehen zwar nur noch Ruinen, die ursprüngliche Form mit den Rundtürmen lässt sich aber aus diesen leicht rekonstruieren.
Abbildung 58: Fasilidas´ Palast in Gondar
Als ich Stunden später wieder beim Flughafen ankomme, steht Reginas Flugzeug immer noch dort und Regina treffe ich im Flughafenrestaurant an. Der Pilot hat den Start noch auf der Startpiste unterbrochen, weil ein Triebwerk beim Check nicht richtig anlief. So steht die Maschine nun an ihrem Standplatz und der Pilot versucht, das Triebwerk wieder flott zu machen (Abbildung 59). Als dies nicht gelingt, ordert der Tower in Addis ein Ersatzflugzeug und einen Mechaniker mit den nötigen Ersatzteilen an. Dieses trifft nach langen zwei Stunden in Gondar ein. Das Ersatzflugzeug fliegt nun zuerst nach Lalibela und Axum, bevor es auf dem Rückflug nach Addis Gondar nochmals anfliegt. Während also Regina das Flugzeug wieder besteigt, um nach Lalibela zu fliegen, muss ich mich nochmals zwei Stunden gedulden, bis es aus dem Norden wieder zurück kommt. Mit geschlagenen vier Stunden Verspätung lande ich schliesslich doch noch in Addis. Nach einer letzten Nacht im Guest House Ankober fliege ich am nächsten Morgen pünktlich in Richtung Schweiz davon. Mit mir nehme ich eine Fülle von Bildern, Gesichtern, Landschaften und Erlebnissen, für die ich noch eine Weile brauchen werde, um sie alle zu verarbeiten.
Abbildung 59: Flugzeugpanne in Gondar
Im Rückblick muss ich sagen, Äthiopien war die lange Reise mehr als wert und ich danke Peter für die Fülle an Begegnungen, Erfahrungen und Eindrücken, die ich in diesem Land machen durfte, so wie man sie als normaler Tourist nie machen könnte.
Abbildung 60: Landschaft südlich von Lalibela
Hans-Peter Hutter, Juni 2010